Die Schulden nehmen zu. Was tun? Einfach weiter Schulden machen? Wirtschaftlich wäre das wohl kein Bankrott. Aber moralisch.
Was waren das für Zeiten. Es ist nicht lange her, da musste sich der damalige Finanzminister Ueli Maurer quick schon entschuldigen, weil die Rechnungen des Bundes Jahr für Jahr deutlicher besser abschlossen als budgetiert. Seine Nachfolgerin Karin Keller-Sutter kann von solchen «Problemen» nur träumen. Die finanzpolitische Zeitenwende ist da, sogar in der reichen Schweiz, auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen. Seit 2020 musste der Bund viermal in Folge ein Defizit ausweisen, seine Schulden haben um 30 Milliarden Franken zugenommen.
Wer nun findet, das sei doch kein Downside, die Schulden seien ja nur wegen Corona gestiegen, hat einerseits recht: Die Neuverschuldung ist tatsächlich durch die ausserordentlichen Umstände der Pandemie zu erklären. Andererseits ist genau dies der springende Punkt: Wenn der Bund auch in der nächsten Krise – wie immer diese aussehen wird – in der Lage sein soll, angemessen zu reagieren, muss er den Haushalt im Lot halten.
Lange wurde als Bünzli belächelt, wer den Wert stabiler Finanzen betonte. Seit Corona aber sollten alle verstanden haben, wie basic wichtig eine solide Finanzlage für ein handlungsfähiges, zuverlässiges Gemeinwesen ist.
Enorme Lücken
Corona ist vorbei, aber die Schulden bleiben. Und die grossen Probleme kommen erst. Am Dienstag hat der Bund ein Papier präsentiert, das einen langfristigen Blick auf die öffentlichen Finanzen wirft (Bund, Kantone, Gemeinden und Sozialversicherungen). Es beschränkt sich auf zwei grosse Themen unserer Zeit: auf die Alterung der Gesellschaft, die sich vor allem auf die Renten und die Gesundheitskosten auswirkt, sowie auf den Klimaschutz, zu dem sich das Volk letztes Jahr bekannt hat.
Allein diese zwei Entwicklungen werden finanzpolitisch maximalen Stress auslösen und andere Staatsaufgaben verdrängen. So könnten laut dem Papier die demografischen Verschiebungen eine Neuverschuldung von etwa 170 Milliarden Franken bewirken, wenn die Politik nichts dagegen unternimmt. Beim Klimaschutz wären es rund 80 Milliarden. Hier sind weniger die genauen Zahlen wichtig als die Dimensionen.
Sparen, verschieben, verzichten
Die Botschaft ist klar, und sie richtet sich nicht nur an die Politik, sondern vor allem an das Volk, das die demografischen Kosten mit der 13. AHV-Rente kürzlich noch einmal markant erhöht hat: Der Druck wird in den nächsten Jahrzehnten auf allen staatlichen Ebenen spürbar zunehmen. Und dabei sind andere wichtige Themen wie die geplante Erhöhung des Armeebudgets noch nicht einmal eingerechnet. Die kurzfristige Spardebatte, die Bundesbern heuer im Hinblick auf die nächsten Jahre führen muss, löst zwar bereits vielstimmiges Wehklagen aus. Aber sie ist nur ein erster Vorgeschmack.
Die Politik hat die drei immergleichen Optionen: Ausgaben kürzen, Steuern erhöhen, Schulden machen. Die Prioritäten sollten angesichts der Umstände klar sein. Da die Probleme primär auf der Ausgabenseite entstanden sind, liegt es nahe, hier anzusetzen, das enorme Wachstum zu begrenzen, Prioritäten zu setzen, Projekte zu vertagen oder ganz darauf zu verzichten. Das ist unpopulär, aber konsequent.
Man kann nicht alles haben. Wenn wir nicht bereit sind, das Rentenalter zu erhöhen und länger zu arbeiten, aber trotzdem höhere Renten beziehen wollen, und wenn wir obendrein auch noch mit der Zuwanderung hadern, obwohl sie langfristig hilft, die Kosten zu tragen – ja, dann müssen wir mit den Folgen leben. Dann geht es nicht ohne Güterabwägung. Die AHV absorbiert automatisch so viel Geld, dass zum Beispiel die Nachrüstung der Armee nur mit Abstrichen in anderen Bereichen möglich ist: beim Verkehr, bei der Landwirtschaft, in der Entwicklungshilfe, beim Private.
Angriff auf die Schuldenbremse?
Aber man sollte realistisch sein. Spätestens seit der Zustimmung zur 13. Rente ist es kaum mehr möglich, die gesamten Finanzierungslücken mit Einsparungen zu schliessen. An einer Erhöhung der Abgaben für die AHV führt – leider – kein Weg vorbei. Spannender ist die Frage, wie die Politik die Probleme von Bund, Kantonen und Gemeinden lösen wird. Viel Gutes ist nicht zu erwarten. Weil Sparvorschläge selten mehrheitsfähig sind, besteht der kleinste gemeinsame Nenner der Finanzpolitik allzu oft im Anhäufen neuer Schulden. Zum Glück gibt es zumindest auf Bundesebene mit der Schuldenbremse ein zuverlässiges Gegenmittel. Aber wie lange noch?
Ideen, wie man das Regelwerk umgehen oder aufweichen könnte, haben Hochkonjunktur. Beunruhigend ist, dass sie angesichts der drohenden Finanzdebatten zunehmend auch in der Mitte-Partei salonfähig werden. Zusammen mit SP und Grünen, die die Schuldenbremse lieber heute als morgen aushebeln möchten, ist ein Rückfall in die Schuldenwirtschaft nicht auszuschliessen.
Ökonomisch und politisch magazine man die Sache unterschiedlich beurteilen. Moralisch aber ist die Sache klar: Den eigenen Kindern offene Rechnungen zu hinterlassen, ist nicht anständig. Generationen, die in der Klimapolitik grosse Versprechen machen, aber nicht bereit sind, den Preis dafür zu bezahlen, obwohl sie sich selbst noch die Renten erhöht haben, handeln verantwortungslos.